Der Präsident der Europäischen Linken, Gregor Gysi, hat sich vehement gegen eine Änderung in der Flüchtlingspolitik der Linkspartei ausgesprochen. In einem Gastbeitrag für die in Berlin erscheinende Tageszeitung »neues deutschland« schreibt der frühere Partei-und Fraktionschef, »wenn man mehr soziale Gerechtigkeit will, darf man nicht gegen andere Arme, sondern muss man gegen ungerechtfertigten Reichtum kämpfen. Wechselten wir in dieser Frage unsere Politik grundsätzlich, dann verlören wir viele derjenigen, die uns 2017 gewählt haben, und gewönnen nur wenige hinzu.«
Ein Kurswechsel würde »auch unser Ende als linke Partei« bedeuten, so Gysi. »Beschlösse eine Mehrheit der Partei, was ich mir nicht vorstellen will und kann, eine solche Änderung ihrer Politik in der Flüchtlingsfrage, wäre es auf jeden Fall nicht mehr meine.«
Gysi reagiert mit seinem Beitrag auf Äußerungen von Oskar Lafontaine, der auch mit Blick auf die Linkspartei erklärt hatte, sie würde bei ihren »Antworten auf die weltweite Flüchtlingsproblematik das Prinzip der sozialen Gerechtigkeit außer Kraft« setzen. Dies war als Plädoyer für eine Änderung der Politik der Linkspartei in dieser Frage verstanden worden.
»Welchen Weg sollen wir beschreiten? Den der CSU? Sollten wir wirklich Obergrenzen fordern, nationalen Egoismus predigen? Wäre das linke Politik?«, fragt Gysi nun und schreibt: »Die Parteien in Deutschland haben unterschiedliche Interessen zu vertreten und deshalb auch unterschiedliche Aufgaben. Wir müssen an der Seite der Schwachen und der Mitte in der Gesellschaft, übrigens auch in der Wirtschaft stehen. Das ist unsere Aufgabe. Die Flüchtlinge sind schwach, bei uns sogar die Schwächsten, sich gegen sie zu stellen, verriete meines Erachtens unseren sozialen und humanistischen Ansatz.« Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und Arbeitslosen sei es »vor dem Flüchtlingsstrom« nicht besser gegangen »und heute nicht schlechter«. Die soziale Frage stehe heute »nicht mehr nur national, sondern weltweit«.
Gysi äußerte sich auch zu Kritik am Abschneiden der beiden Vorsitzenden der Linkspartei, Katja Kipping und Bernd Riexinger. Lafontaine hatte erklärt, »die beiden Parteivorsitzenden finden selbst wenig Zustimmung bei den Wählern«. Gysi warnte hingegen davor, »das Ergebnis von 2013 herunterzureden und das jetzige Ergebnis überzubewerten. Einen Grund für Schuldzuweisungen an die beiden Parteivorsitzenden sehe ich schon deshalb nicht, weil sie einen wichtigen Beitrag zur Stabilität der Partei in der gesamten Zeit geleistet haben«. Marina Kormbaki, Berlin - neues deutschland
Berliner Parteienforscher sieht Probleme beim Ost-West-Verhältnisse bei den Linken
Nachdem bei der Bundestagswahl die Linkspartei insgesamt zwar leichte Zugewinne verbuchen konnte, im Osten aber einen starken Stimmenrückgang erlebte, verändert sich auch das Ost-West-Verhältnis in der Bundestagsfraktion. Mittlerweile sind nur noch ein Drittel der Fraktionsmitglieder aus dem Osten. In Westdeutschland kam die Linkspartei bei der Wahl in allen westdeutschen Bundesländern über sechs Prozent. Der Parteienforscher Gero Neugebauer von der FU Berlin sieht das wachsende Gewicht der West-Linken in der Partei als Problem. „Das Kräfteverhältnis verschiebt sich zugunsten der westdeutschen Landesverbände“, sagte er den Zeitungen der Neuen Berliner Pressegesellschaft (Märkische Oderzeitung, Südwestpresse) „Das wird man im Osten nur schwer erträglich finden. Da wird das Selbstverständnis der Linken als Sachwalter der wirklich oder vermeintlich benachteiligten Ostdeutschen berührt, so der Wissenschaftler.
Neugebauer sieht die Linken im Osten vor großen Herausforderungen. „Nicht Retro, nicht Ostalgie ist angesagt, sondern die Konzentration auf die spezifischen sozialen Probleme. Die Frage ist nur, ob es da genügend Unterstützung aus den westdeutschen Landesverbänden gibt.“ An eine Radikalisierung der Linkspartei glaubt Neugebauer nicht. Im Online-Interview mit den Zeitungen der Neuen Berliner Redaktionsgesellschaft verwies er auf eine deutliche Verjüngung der Linkspartei durch neue Mitglieder. „Diejenigen, die jetzt zu den Linken stoßen, sind im Durchschnitt eher pragmatisch und gar nicht besonders radikal. Denen geht es um die Weiterentwicklung der Demokratie, Geschlechtergerechtigkeit, um die Umwelt, lebenswerte Städte oder um Solidarität mit Flüchtlingen. Wir sehen es in Berlin: Die Linke wird jünger, libertärer und insgesamt westlicher.“ Märkische Oderzeitung