Pflege - Da muss mehr kommen: Wichtiger als einmalige Vergütungen wäre es, wenn Pflegekräfte grundsätzlich besser bezahlt würden. Der jüngste Pflege-Tarifvertrag, den die Bundesregierung für allgemeinverbindlich erklären will, wäre ein sehr wichtiger Schritt hin zu mehr Fairness. Doch es gibt Widerstände von Trägern privater Pflegeeinrichtungen und -diensten, die auf die immensen Kosten hinweisen. Die sollten einer angemessenen Bezahlung jedoch nicht im Wege stehen. Denn sie ist der Schlüssel zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen und somit zur Sicherung des Nachwuchses.¹
Im Streit um höhere Löhne in der Pflegebranche hat Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) die kirchlichen Wohlfahrtsverbände aufgefordert, seinen Tarifpakt zu unterstützen. „Das ist eine historische Chance und die Erwartungen sind riesig“, sagte Heil dem stern. Die Pandemie habe für die Pflegekräfte neue Arbeit gebracht, die zwar respektiert worden sei, aber: „Klatschen reicht nicht“, sagte er.
Heil will auf trickreichem Weg höhere Löhne für die Pflegekräfte durchsetzen. Dazu will er einen Tarifvertrag für allgemeingültig erklären, den die Gewerkschaft verdi mit dem Arbeitgeberverband BVAP geschlossen hat. Die Vereinbarung sieht vor, bis 2023 die Mindestlöhne für Pflegehelfer auf 14,40 Euro und für Fachkräfte auf 18,50 Euro zu erhöhen. Derzeit liegen die Mindestlöhne bei 11,60 Euro im Westen und 11,20 Euro im Osten. Der Haken: Der Tarifvertrag deckt weniger als zehn Prozent der Branche ab. Damit das Verfahren klappt, müssten weitere Arbeitgeber den Tarifvertrag unterstützten. Die privaten Anbieter sperren sich, die kirchlichen Träger zögern, wollen aber im Lauf der Woche entscheiden - die Caritas wohl am Donnerstag, die Diakonie am Freitag.
Doch sicher ist die Unterstützung der kirchlichen Arbeitgeber nicht. Darauf deuten Äußerungen einzelner Verbandsvertreter hin. Manche hoffen deswegen auf ein Vorhaben von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), wonach Heime nur dann noch Geld von der Pflegeversicherung erhalten, wenn sie Tariflöhne zahlen. Außerdem will Spahn den Eigenanteil der Pflegebedürftigen deckeln, die derzeit für die Versorgung im Heim im Schnitt über 2000 Euro im Monat bezahlen.
Heil fürchtet jedoch, dass Spahns Idee zu spät kommt. „Bislang haben wir nur bedrucktes Papier, aber keine konkrete Gesetzgebung“, sagte Heil dem stern. Er fürchtet, dass die Zeit davonlaufe, weil im Herbst der Bundestag neu gewählt werde. „Den Job müssen wir wohl nach der Bundestagswahl erledigen“, so Heil.²
Brüderle: „Ein Tarifvertrag von Miniminderheiten mit Praxisferne“ / Meurer: „Mehr Geld ist die Voraussetzung für eine bessre Bezahlung. Allgemeinverbindliche Tarifverträge sind es nicht.“
Zur erneuten Verkündung eines Tarifvertrags zwischen BVAP und Verdi erklärt der Präsident des bpa Arbeitgeberverbandes Rainer Brüderle:
„Die AWO-Zweitmarke BVAP hat mit Verdi nun bereits zum zweiten Mal den Abschluss eines Tarifvertrages für wenige Arbeitgeber und wenige Beschäftigte verkündet. Das ist und bleibt im Rahmen der Tarifautonomie ihr gutes Recht - auch die Mehrfachverkündung.
Die Allgemeinverbindlichkeit eines solchen Abschlusses wäre nicht rechtens. Gilt der Abschluss jetzt eigentlich für BVAP-Mitglieder? Oder lassen sie den Tarifvertrag nur gegen sich selbst gelten, wenn er durch den Bundesarbeitsminister auf Dritte erstreckt wird. Ist das dann überhaupt ein echter Tarifvertrag? Wenn nicht, bestehen schon Zweifel an der Erstreckungsmöglichkeit.
Es bleibt dabei: Miniminderheiten können in unserem Wirtschafts- und Gesellschaftssystem und unserer demokratischen Grundordnung nicht über die Tarifautonomie von Mehrheiten bestimmen. Zudem ist ein Einheitstarifvertrag von Stralsund bis Freiburg jenseits der betrieblichen Wirklichkeit. Neben der fehlenden Größe zeichnet sich diese Vereinbarung durch Praxisferne aus. Wenn die Beschäftigten in der Pflege der Auffassung wären, dass sie einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag brauchen, wären sie in der Verdi. Wenn die Arbeitgeber meinten, sie brauchen einen solchen Vertrag, wären sie Mitglied der BVAP. Tatsächlich sind beide Gruppen in überwältigender Anzahl kein Mitglied in beiden Verbänden. Für die Repräsentativität spielen auch Positionierungen von kirchlichen Institutionen keine Rolle.“
Der stellvertretende Präsident des bpa Arbeitgeberverbandes Bernd Meurer ergänzt: „Im Jahr 2019 haben examinierte Altenpflegekräfte im Mittel 3.032 Euro monatlich verdient. Legt man die Steigerungsraten der vergangenen Jahre zugrunde, dürfte das aktuelle mittlere Gehalt rd. 3.200 Euro betragen. Die Gehälter in der Altenpflege sind in den letzten fünf Jahren beinahe doppelt so stark gestiegen wie in allen anderen Branchen. Pflegeunternehmen haben zudem in den vergangenen Jahren 100.000 zusätzliche sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen. Wettbewerbsverzerrungen zulasten einzelner Träger gibt es nicht.
Wer trotz dieser Entwicklung noch höhere Löhne für Altenpflegekräfte haben und gleichzeitig Pflegebedürftige nicht weiter belasten will, der muss mehr Geld zur Verfügung stellen - entweder über die Beitragsmittel zur sozialen Pflegeversicherung oder über Steuermittel. Mehr Geld ist die Voraussetzung für eine bessre Bezahlung. Allgemeinverbindliche Tarifverträge sind es nicht.“
Der bpa Arbeitgeberverband e. V. wurde 2015 von 200 Einrichtungen und Diensten der privaten Arbeitgeber in der Altenpflege, Behinderten-, Kinder- und Jugendhilfe gegründet. Mitglieder des bpa Arbeitgeberverbands sind sowohl kleine als auch mittlere und große Betriebe. Mittlerweile vertritt der Verband die tarif- und arbeitsmarktpolitischen Interessen von über 4.500 Mitgliedern, die rund 190.000 Mitarbeiter beschäftigen.³
¹Straubinger Tagblatt ²Gruner+Jahr, STERN ³bpa Arbeitgeberverband