Deutschlands Lockdown, der eher zu spät als zu früh kam, war kein Meisterwerk, vor dem man bis in alle Ewigkeit erschaudern muss. Aber er war immerhin geeignet, die Wucht einer exponentiell hochschießenden Viruswelle gerade noch rechtzeitig zu brechen. Merkel hat geholfen, eine Katastrophe abzuwenden. Aber: Prävention führt nie zum Ruhm: Das ist eine alte Weisheit unter Ärzten.
Merkel ist nicht wehleidig, sie kennt das Präventionsparadox. Schon in der Finanzkrise 2009 ging es ja heiter weiter - in einer Stimmung, wie sie wohl auch am Morgen des 15. April 1912 an Bord der „Titanic“ geherrscht hätte, wenn es dem Kapitän in der Nacht gelungen wäre, dem Eisberg auszuweichen: Warum knirschte und schlingerte das Schiff denn so?¹
Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) unterstützt in der Frage weiterer Lockerungen der Kontaktbeschränkungen in der Corona-Krise den vorsichtigen Kurs von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und dämpft Erwartungen an das Bund-Länder-Gespräch an diesem Donnerstag. „Wir wissen momentan noch überhaupt nicht, wie sich die jüngsten Lockerungsmaßnahmen auf das Infektionsgeschehen auswirken“, sagte sie der Düsseldorfer „Rheinischen Post“.
Sie betonte: „Ich möchte zu hohe Erwartungen an weitere Lockerungen nach der Schalte mit der Bundeskanzlerin am 30. April dämpfen.“ Es gehe um größtmögliche Einigkeit in grundsätzlichen Fragen. Allerdings müsse es immer auch Raum für unterschiedliche Ausgestaltungen geben, da die Regionen unterschiedlich betroffen seien. Sie mahnte aber: „Wir müssen immer wieder jeden einzelnen Schritt abwägen, denn im Zweifelsfall hängen Menschenleben davon ab.“ Dreyer zufolge wird die Gesellschaft „noch sehr lange“ mit dem Virus leben müssen. „Daher bleiben Abstandhalten, Hygieneregeln und der sorgsame Umgang miteinander das A und O.“
Beamtenbund-Chef hält Corona-Lockerungen für verfrüht
Der Chef des Deutschen Beamtenbundes, Ulrich Silberbach, hat die Länder vor übereiltem Handeln in der Corona-Krise gewarnt: „Ich halte die Lockerungen für verfrüht“, sagte Silberbach. Da habe die Wirtschaft augenscheinlich viel Druck auf die Politik gemacht. „Diejenigen, die gerade mit sehr viel staatlichen Geldern gerettet werden, schreien am lautesten danach, dass es wieder losgehen soll und vernachlässigen dabei die gesundheitlichen Risiken.“ Silberbach schlug vor, für Hilfsgelder an große Konzerne zur Bedingung zu machen, dass diese keine Dividende ausschütten dürften.
Zugleich verteidigte Silberbach die Kommunen gegen die Kritik, sie hätten sich nicht ausreichend auf die Wiederaufnahme des Schulunterrichts vorbereitet: „Der Lockdown ist von heute auf morgen gekommen und hat die Entscheidungsträger vor Ort vor große Herausforderungen gestellt. Nachdem sie erst linksherum fahren sollten, geht es nun rechtsherum, und sie sollen die Dienste plötzlich wieder hochfahren.“ Das mache es den handelnden Personen extrem schwer, sagte Silberbach der „Rheinischen Post“. „Eine gute Vorbereitung war da meines Erachtens nur schwer möglich, zumal der föderale Flickenteppich zusätzlich für Unübersichtlichkeit sorgt.“²
Deutschland wird international für seine Politik in Corona-Zeiten gelobt. Nicht ohne Grund. Das aber ersetzt nicht die Notwendigkeit zu kritischer Analyse. Zur Analyse, dass sich der Staat bei unstreitig notwendigen Milliardenhilfen (und den erst noch anstehenden Konjunkturprogrammen) nicht so verausgaben darf, dass ihm später die Luft ausgeht. Und auch zur Analyse von Fehlern. Zwei kapitale Fehler gehen auf das Konto von Gesundheitsminister Jens Spahn. Noch immer nicht ist die Versorgung mit Schutzmasken und Schutzausrüstungen so gewährleistet wie das für den Umgang mit Corona elementar wäre - vor allem in Altenheimen und Schulen. Hier sind zu Beginn der Krise wertvolle Wochen verstrichen, weil Spahn ausgerechnet auf das Beschaffungsamt der Bundeswehr gesetzt hatte - einen lahmen Gaul, der seine Überforderung zuvor schon x-fach bewiesen hatte.
Erst die Einschaltung global aufgestellter Konzerne wie VW, BASF und anderer hat hier Entlastung gebracht. Noch deutlicher als diese Beschaffungspanne geht der überaus kostbare Zeitverlust bei der Entwicklung einer Smartphone-App zur Eindämmung der Epidemie auf das Konto von Spahn. Die App gilt als zentrale Voraussetzung dafür, Lockerungen im Corona-Regime zu erreichen, ohne der Epidemie neuen Auftrieb zu verleihen. Geradezu halsstarrig hielt Spahn an der Idee einer App fest, welche die Daten zentral und nicht beim einzelnen Bürger speichern sollte. Wohlgemerkt: In einer Krise wie der aktuellen kann kein Politiker alles richtig machen. Gleichwohl machen manche Fehler, über die nicht einfach hinweggegangen werden darf.³
¹Mitteldeutsche Zeitung ²Rheinische Post ³Friedrich Roeingh - Allgemeine Zeitung Mainz