Europarechtler warnen: „Corona-Paket wird EU um die Ohren fliegen“

ARD-DeutschlandTrend: Deutliche Mehrheit für Rechtsstaatsprinzip beim EU-Haushalt

Europarechtler der Berliner Humboldt-Universität warnen vor dem EU-Gipfel, dass das EU-Corona-Hilfspaket aus 750 Milliarden Euro Pandemiehilfe und 1,1 Billionen Euro Haushaltsmitteln einer gerichtlichen Überprüfung vor dem Bundesverfassungsgericht wohl nicht standhalten würde.

Die Konstruktion der Corona-Hilfe stehe im Widerspruch zum geltenden Europarecht, sagten die Juristen Matthias Ruffert und Malte Symann im Interview mit dem „Tagesspiegel“ - der Bundestag plane aber dennoch, den deutschen Anteil mit einfacher Mehrheit zu beschließen: „Das ist eine Einladung zu einer Verfassungsbeschwerde.“ Eigentlich sei eine Zweidrittelmehrheit erforderlich, weil ein bisher „nicht vorhandener Finanzausgleichsmechanismus etabliert“ werde.

Die EU nutze für dieses milliardenschwere Finanzpaket eine Regelung, die eigentlich für Hilfe bei Naturkatstrophen gedacht sei, kritisierte Ruffert. Auf dieser Basis wolle sie „hunderte Milliarden Euro, die nicht da sind, verteilen. Es hat etwas von einer riskanten Luftbuchung.“ Jemand müsse diese hohen Kredite aufnehmen, nämlich die EU. Zurückzahlen wolle sie diese gigantischen Summen erst ab 2028 und zwar zum Großteil aus ihren „sonstigen Einnahmen“, obwohl die derzeit nur etwas mehr als ein Prozent des Haushalts betragen. „Das widerspricht dem geltenden Haushaltsrecht.“ Was die EU plane, dass nämlich die EZB die Coronaanleihen aufkaufe, laufe auf eine verbotene „monetäre Staatsfinanzierung“ hinaus.

„Der Staat (oder die EU) druckt sich das Geld, das er braucht. Genau das darf eigentlich nicht sein.“ Noch bedenklicher seien die Vorschläge, wie man das drohende Veto Polens und Ungarns gegen das Finanzpaket umgehen wolle. Die übrigen 25 EU-Staaten sollten die Hilfe ohne sie beschließen. „Das kriegt man nicht hin“, warnen Ruffert und Symann. Denn dann brauche man eine andere Institution als die EU, die die Kredite aufnimmt. Und die beteiligten Staaten müssten die Haftung übernehmen, was aber wohl nicht möglich sei, weil Italien und andere schon jetzt zu hoch verschuldet seien.¹

Ende des Jahres übergibt Deutschland den Vorsitz im Rat der Europäischen Union turnusgemäß an Portugal. In den vergangenen sechs Monaten war Deutschland unter anderem bei der Verhandlung des nächsten EU-Haushalts gefordert, der auch ein europäisches Corona-Hilfspaket beinhalten soll. Mit dem neuen EU-Haushalt soll ein neues Prinzip verankert werden: Die Auszahlung von EU-Mitteln soll künftig an die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards gekoppelt werden. Ein solcher Mechanismus findet bei den Deutschen grundsätzlich Anerkennung: Acht von zehn Wahlberechtigten (80 Prozent) bezeichnen ihn als richtig. Abgesehen von den AfD-Anhängern wird er in keiner Wählerschaft in Zweifel gezogen. Das hat eine Umfrage von infratest dimap für den ARD-DeutschlandTrend im Auftrag der Tagesthemen am Montag und Dienstag dieser Woche ergeben.

Gegen die Verankerung eines Rechtsstaatsprinzips im EU-Haushalt haben Ungarn und Polen ihr Veto eingelegt, wodurch gleichzeitig die Auszahlung europäischer Corona-Hilfsmittel an die EU-Staaten blockiert ist. Für den Fall, dass beide Länder ihren Widerstand nicht aufgeben, plädiert die Mehrheit der Deutschen (72 Prozent) dafür, diese Auszahlungen ohne Ungarn und Polen zu vereinbaren.

Die wegen der polnischen und ungarischen Haltung ins Stocken geratenen Verhandlungen zum neuen EU-Haushalt bilden eine harte Bewährungsprobe für die deutsche Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Von den Bundesbürgern wird die Europapolitikerin nach einem Jahr im Amt weiterhin kritisch bewertet: Wie vor ihrem Amtsantritt stellt ihr ein gutes Drittel (35 Prozent) ein positives Zeugnis aus, während etwa die Hälfte (51 Prozent) Kritik übt.²

¹Der Tagesspiegel ²WDR Kommunikation

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